1. Der Olivenhain


    Datum: 22.03.2019, Kategorien: Romantisch Autor: Freudenspender

    das Schönste gewesen, was mir hätte passieren können. Wie gerne hätte ich Euch beide in die Arme genommen. Dieses Versagen wirft einen Schatten der Wehmut über mein ganzes Leben. Ich bin allein und verbringe viele Stunden im uliveto, dem Olivenhain. Dort hat sich deine Mutter so gerne aufgehalten. Es war ihr Lieblingsplatz. Ich habe eigens für sie dort eine Bank aufstellen lassen, die heute noch dort steht. An manchen Tagen sitze ich stundenlang dort und sehne mich nach der Zeit zurück. Auf dieser Bank ist auch mein Wunsch gereift, dir das Weingut zu vererben. Es ist das, was mich und deine Mutter zusammengebracht und mich mein halbes Leben lang an sie erinnert hat. Du wirst dich jetzt fragen, was du mit einem Weingut anfangen sollst. Ich nehme an, dass ein junges Mädchen aus Berlin wenig Ahnung vom Weinbau hat. Trotzdem bitte ich dich, das Erbe anzunehmen und das Weingut weiterzuführen. Der Kellermeister und das restliche Personal werden dir genauso treu ergeben sein, wie mir. Mit ihrer Hilfe wirst du es schaffen. Davon bin ich überzeugt. Mit dieser Bitte und einem wehmütigen Lebewohl beschließe ich diesen Brief, meine einzigen Worte, die ich je an dich richten durfte. Dein Vater Giuseppe Pisolo Ich weiß nicht was ich sagen soll. Tränen rinnen über meine Wangen. Ich bin unendlich traurig. Ich konnte den Brief nur Absatz für Absatz lesen und musste die Worte einzeln auf mich wirken lassen. Mein Vater hat sehr darunter gelitten, dass er meine Mutter nie wiedergesehen ...
     hat. Auch mich scheint er ehrlich vermisst zu haben. Ich habe selten so emotionale Worte gelesen. Mein leiblicher Vater muss ein außergewöhnlicher Mann gewesen sein. Ich lese die Zeilen mehrmals. Ich sauge den Inhalt förmlich in mich hinein. Aus jedem Wort spüre ich die Liebe, die er meiner Mutter entgegengebracht hat und wie sehr er sich danach gesehnt hat, mich in den Arm zu schließen. Ich kann mir gut vorstellen, wie schwer es für ihn gewesen sein muss zu wissen, dass er ein Kind hat, es aber nicht sehen konnte. Ich glaube, es wäre besser gewesen, meine Mutter hätte ihm nie geschrieben, dass es mich gibt. Ich habe mich so auf den ersten Teil des Briefes konzentriert, dass ich erst mit der Zeit realisiere, dass ich nicht nur ein kleines Andenken erben soll. Wenn ich den Brief jedoch richtig verstehe, soll ich das Landgut bekommen. Was soll ich mit einem Weingut? Wie stellt er sich das vor? Mir wird auch bewusst, dass ich ihn bereits als Vater betrachte. In seinen wenigen, wirklich sehr persönlichen Worten steckt viel mehr Wärme, als der Mann, den ich bisher für meinen Vater gehalten habe, mir je entgegen gebracht hat. Mein vermeintlicher Vater muss etwas gewusst haben. Nur so kann ich mir sein distanziertes Verhalten erklären. Ich habe als Kind sehr unter seiner Ablehnung gelitten. Ich habe versucht es damit zu erklären, dass es eben seine Art ist und, dass es nichts mit mir zu tun hat. Schließlich war sein Verhalten meiner Mutter gegenüber genauso wenig herzlicher. Seine ...
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