Der Olivenhain
Datum: 22.03.2019,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Freudenspender
Der Olivenhain "Signorina Hertig? Signorina Greta Hertig?" Ein älterer Mann hat gerade den Friseursalon betreten und kommt geradewegs auf mich zu. Ich habe ihn noch nie gesehen. Was will der von mir? Woher kennt er meinen Namen? Ein Mann kommt höchst selten allein zum Damenfriseur. Entweder er begleitet seine Frau oder es ist ein Vertreter für irgendwelche Produkte. Doch dieser passt gar nicht hierher. Er ist klein und dicklich, trägt einen Hut und ist vornehm gekleidet. "Was wollen Sie?", stelle ich eine Gegenfrage. Ich bin zugegebenermaßen etwas unfreundlich. Der Mann nervt. "Wenn Sie signorina Greta Hertig sind, dann suche ich Sie", antwortet er. "Was wollen Sie von mir? Ich kenne Sie nicht!" Er lächelt väterlich und wirkt, wie aus einer anderen Welt. Ein wenig aristokratisch, etwas abgehoben, würde ich sagen. Auf jeden Fall fällt er auf, hier in Neukölln. Es ist nicht gerade die noble Gegend, in der man einen Mann wie ihn erwarten könnte. "Können wir irgendwo ungestört sprechen?", meint er. "Sie sehen doch, ich bin alleine und muss mich um die Kundin kümmern. Meine Chefin ist heute nicht da. Sie können von mir aus in der Mittagspause wiederkommen, wenn Sie unbedingt wollen", antworte ich. "Wann haben Sie Mittagspause?", erkundigt er sich. Trotz meiner harschen Art bleibt er zuvorkommend. "Um halb eins schließen wir den Laden." "Danke, sehr freundlich. Dann komme ich um halb eins. Auf Wiedersehen!", grüßt er. Der Mann deutet eine Verbeugung an, zieht den Hut und macht auf ...
dem Absatz kehrt. Während ich ihm nachdenklich nachschaue und sich die Tür langsam hinter ihm von selbst schließt, läutet die Küchenuhr, die mir anzeigt, dass ich die Tönung aus den Haaren der Kundin waschen muss und eile zur ihr. Ich habe die ganze Zeit das Hirn zermartert, was dieser Typ wohl von mir will. In letzter Zeit habe ich wirklich nichts angestellt. Ich hatte mit niemandem Streit und Schulden habe ich auch keine. Allerdings sieht der Mann weder wie ein Polizeibeamter, oder Gerichtsvollzieher und schon gar nicht wie ein Schuldeneintreiber aus. Die Sache ist mehr als rätselhaft. Zehn Minuten vor der Zeit steht er wieder im Geschäft. Er sagt kein Wort und wartet geduldig neben dem Eingang, bis ich die letzte Kundin abkassiert und zur Tür gebracht habe. Ich sperre hinter ihr ab. "Ungestörter als hier können wir nicht sein", eröffne ich ihm. Gleichzeitig biete ich im Platz auf einem der Friseurstühle an. Er schaut sich etwas pikiert um. Der feine Herr scheint meinen saloppen Umgang nicht gewohnt zu sein. Ist wohl etwas Besseres? Trotzdem nimmt er auf dem ihm angebotenen Stuhl Platz. Ich ziehe währenddessen meinen Kittel aus und hänge ihn über die Lehne eines zweiten Stuhles. Er beobachtet mich dabei genau. Was unter dem Kittel zum Vorschein kommt scheint ihm nicht wirklich zu gefallen. Er mustert von oben bis unten und zieht dabei den Mund etwas nach oben. Er schaut einen Moment nicht besonders glücklich drein, lässt sich von meinem schwarzen Outfit aber doch nicht ganz ...