Der Olivenhain
Datum: 22.03.2019,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Freudenspender
nicht, ich finde selbst hinaus." Ich rufe meine Chefin an und bitte Sie, mir den Nachmittag frei zu geben. Ich gaukle ihr vor, mir sei übel und ich hätte wohl einen Virus eingefangen. Von dem, was gerade vorgefallen ist, erwähne ich nichts. Im Augenblick kann ich mit der neuen Situation selbst noch nicht umgehen. Wie soll ich es dann einem anderen erklären. Zu Hause in meiner kleinen Wohnung sitze ich auf meinem Bett und halte den Brief in der Hand. Ich denke nur nach und bewege mich kaum. Die Zeit verrinnt zäh. Mir schwirren tausende Gedanken durch den Kopf und trotzdem kann ich keinen klaren Gedanken fassen. Ich finde die längste Zeit nicht den Mut, den Brief endlich aufzureißen und ihn zu lesen. Das wäre sicher der schnellste Weg Licht in die Angelegenheit zu bringen. Stattdessen starre ich stupide auf die Visitenkarte und lese zum tausendsten Mal, was draufsteht. Inzwischen kenne ich sie auswendig. Es ist nur eine Ablenkung, um nicht an die eigentliche Frage zu denken. Wer war mein Vater? Um mich herum bricht gerade alles zusammen. Was soll ich überhaupt noch glauben? Ich habe das Gefühl, die wenigen Worte und Nummern auf diesem winzigen Stück Papier sind im Augenblick die einzigen Dinge, die in meinem Leben noch echt sind. Den Notar habe ich gesehen und er ist real. Alles andere ist offenbar nicht das, was es bisher zu sein schien. Meine Mutter und vermutlich auch der Bastard von meinem Vater haben mich ein Leben lang belogen. Beide sind tot und ich stehe da, mit ...
meinen Fragen, mit meinen Zweifeln, mit meiner Unsicherheit. Möglicherweise war mein Vater gar nicht der Bastard, für den ich ihn ein halbes Leben lang gehalten habe. Plötzlich habe ich einen leiblichen Vater, den ich nie gesehen habe. Auch er ist tot. Auch ihn kann ich nicht fragen. Ich bin es mein Leben lang gewohnt, mich alleine durchs Leben zu schlagen. Mein Vater war ein Säufer und auch meine Mutter war mir nie eine große Hilfe. Seit ihrem Tod bin ich sowieso allein. Ich konnte mich immer selbst behaupten. Aber im Augenblick wünsche ich mir nur einen Menschen, an den ich mich anlehnen kann. Jemand, der für mich da ist. Es dämmert bereits. Es hilft nichts. Ich will endlich Klarheit haben. Egal was im Brief steht, ich muss ihn lesen. Nur so weiß ich, was drinnen steht. Vorsichtig, fast schon andächtig, öffne ich den Umschlag. Ich zögere kurz, bevor ich das Schreiben herausnehme und ganz langsam entfalte. Soll ich ihn wirklich lesen? Ich muss wohl! Mein liebes Kind, wenn du diesen Brief in Händen hältst, bin ich bereits tot. Leider hatten wir nicht mehr die Möglichkeit, uns persönlich kennen zu lernen. Ich wusste lange nicht, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist. Das hat mir deine Mutter nie gesagt. Dass es dich gibt weiß ich lediglich aus einem Brief, den sie mir vor vielen Jahren geschrieben hat. Seitdem habe ich nie mehr etwas von deiner Mutter gehört. Ich habe mich bemüht, Nachforschungen anzustellen. Doch deine Mutter hatte inzwischen geheiratet, den Namen geändert, ist ...