Der Olivenhain
Datum: 22.03.2019,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Freudenspender
Während des Hinsetzens muss ich noch einige unschöne Kommentare über mich ergehen lassen, die sie untereinander austauschen. Sie nehmen sich dabei kein Blatt vor den Mund. Sicher auch, weil sie immer noch annehmen, dass ich sie nicht verstehe. Filippo begibt sich neben die Tür. "Guten Tag, meine Damen und Herren! Wir haben uns heute hier versammelt, um den letzten Willen unseres lieben Ehemannes und Vaters, Giuseppe Pisolo zu vernehmen. Er hat es sich nicht leicht gemacht, seinen Besitz gerecht unter Euch aufzuteilen", beginnt er. Dabei holt er zwei Fernbedienungen aus seiner, mir bereits von Berlin her, bekannten Aktentasche hervor und legt sie vor sich auf den Tisch. Ich beobachte die Szene mit wachsendem Interesse. Seit ich meine neugewonnene Verwandtschaft kennengelernt habe, erwarte ich die Verlesung des Testamentes mit noch mehr Interesse. Es geht dabei einerseits um das Andenken meines Vaters und seine Liebe zu diesem Land, andererseits aber auch um die Menschen, die hier arbeiten. Allen voran Filippo, der keine Zukunft auf diesem Weingut hätte, würde ´L´uliveto´ einem von ihnen zufallen. "Herr Giuseppe Pisolo hat seinen letzten Willen vor mehr als fünf Jahren handschriftlich bei mir in der Kanzlei aufgesetzt. Das Testament war bis heute früh sicher in meinem Safe verwahrt", berichtet der Notar. "Darüber hinaus hat er es sich nicht nehmen lassen, selbst ein Video aufzunehmen. Er wird Euch also selbst seinen letzten Willen kundtun. Rechtliche Gültigkeit hat ...
natürlich der handschriftliche Text." Der Notar drückt auf einen Knopf auf einer der beiden Fernsteuerungen und der Fernseher schaltet sich ein. Es erscheint das Bild eines Mannes, ich schätze ihn auf fünfundsechzig Jahre. Er sieht älter aus, als auf dem Bild in der Eingangshalle. Das also ist mein Vater. Ich hätte nie gedacht, dass ich ihn noch einmal zu Gesicht bekomme, wenn auch nur aufgezeichnet. Er beginnt zu sprechen und wirkt beinahe fröhlich. Es ist eine ganz eigenartige Stimmung. "Meine Lieben, Ihr habt Euch also hier versammelt, um mein Erbe unter Euch aufzuteilen. Ich kann mir schon vorstellen, dass einige von Euch hart darauf warten." "Wie kann er so etwas sagen", wirft seine Frau ein. Sie hat sich bisher auffallend ruhig verhalten. Der Zwischenruf und ihre Gehässigkeit in diesen wenigen Worten zeigen mir, dass sie keinen Deut besser ist. Vermutlich haben es die Kinder von ihr gelernt. Mir fällt unwillkürlich das Sprichwort ein, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt. "Unterbrich mich nicht, Eleonora", sagt mein Vater. Mir kommt fast das Lachen, denn er scheint seine Frau wirklich gut zu kennen. "Unsere Ehe besteht doch seit langem nur noch auf dem Papier. Wenn wir - dieses letzte Mal, dass wir uns sehen - endlich ehrlich zueinander sind, müssen wir zugeben, dass unsere Ehe ein großer Bluff war. Schon lange ist klar, dass du nur mein Geld und meinen Besitz geheiratet hast. Ich war dir von Anfang an egal." Eleonora sagt nichts. Sie wirkt jedoch weder reumütig noch ...