Der Olivenhain
Datum: 22.03.2019,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Freudenspender
Das Wasser wäscht nicht nur den Staub von meinem Körper. Auch meine Sorgen und Bedenken zerfließen. Als ich nach einer halben Stunde aus der Wanne steige, bin ich gelassen und zuversichtlich. Ich nehme mir vor, alles auf mich zukommen zu lassen. Als ich wieder angezogen bin, ist es auch schon Zeit, zum Abendessen zu gehen. Ich mache mich auf den Weg. In dem Moment, in dem ich die Treppe hinabschreite und die Halle vor mir sehe, muss ich unweigerlich daran denken, dass all das mir gehören soll. Leider kann ich mich noch nicht mit der Vorstellung anfreunden, die Gutsherrin zu sein. Filippo kommt in dem Moment aus einer Tür, als ich den Fuß der Treppe erreiche. Ganz unbewusst scheint sich ein freundliches Lächeln auf seine Lippen schleicht, als er mich erblickt. "Hallo Greta, du bist pünktlich", meint er. "Das hättest du mir wohl nicht zugetraut", scherze ich. "Das hat doch damit nichts zu tun. Pünktlichkeit ist eine Tugend, die sich sehr schätze", antwortet er. Erneut wirkt er verlegen. "Mich stört nicht, dass du dich ein wenig anders kleidest, als die anderen. Herr Pisolo hat mir beigebracht, Menschen nicht nach ihrem Aussehen zu beurteilen." "Da hatte er sicher Recht. Ach ja, gibt es ein Bild von Herrn Pisolo?", erkundige ich mich. "Ja, das war er." Bei diesen Worten deutet er auf ein großes Bild in der Eingangshalle, das mit einer schwarzen Schleife versehen ist. Mein Vater war, dem Bild nach zu urteilen, ein ausgesprochen ansehnlicher Mann. Auf dem Bild hat er einen etwas ...
strengen Gesichtsausdruck, allerdings könnte das auch am Maler liegen. "Das ist der Platz, an dem bereits seit Generationen das Portrait des Gutsherrn hängt. Ich bin gespannt, wer die Ländereien erbt und als nächstes von dort oben herabblickt", erklärt er mir. Er wendet sich zum Gehen und ich folge ihm. Etwas verschmitzt werfe ich noch einen Blick zurück zum Bild meines Vaters. Ich stelle mir heimlich vor, dass dort mein Bild hängen könnte. Ich muss grinsen. Die Vorstellung ist völlig ungewohnt. Filippo führt mich ins Esszimmer und von dort über die geöffnete Terrassentür hinaus ins Freie. Unter einer Laube steht ein riesiger Tisch, an dem locker zwanzig Personen Platz finden. Es ist für zwei Personen gedeckt. "Die Köchin hat eigens für dich als Vorspeise typische Wurst- und Käsespezialitäten aus der Toskana vorbereitet, danach gibt es eine Fantasie von der Artischocke und als Hauptspeise Wildschweingulasch mit Polenta", erklärt er. "Wer soll das alles essen?", frage ich. "Ich bin kein Schwerarbeiter." "Du kannst auch nur wenig davon essen. Aber kosten solltest du auf jeden Fall." "Es gibt auf dem Weingut eine eigene Köchin? Leben hier so viele Personen?", erkundige ich mich. "Die Zahlen schwanken je nach Jahreszeit. Während der Ernte sind zeitweise bis zu dreißig Leute in den Weinbergen und im Keller beschäftigt." "Dann ist das Weingut ganz schön groß?" "Wir füllen im Jahr rund dreihunderttausend Flaschen ab." "Ist das viel?" "Hängt davon ab, was du unter viel verstehst", ...