1. Der Olivenhain


    Datum: 22.03.2019, Kategorien: Romantisch Autor: Freudenspender

    seinem Herzen war er ein sehr unglücklicher Mann. Ich war wohl der einzige, der von seinem Leid wusste. Er hat es niemandem erzählt. Wem auch? Ich hoffe, er hat sich mir nicht nur deshalb anvertraut, weil ich als sein Notar den Nachlass verwalten muss." "Nur wegen meiner Mutter und mir?", frage ich erstaunt nach. "Nur? Ihre Mutter war die ganz große Liebe seines Lebens. Obwohl sie alle Brücken hinter sich abgebrochen hat, sie war bis zum letzten Atemzug die einzige Frau in seinem Herzen. Ich bin überzeugt, sein letzter Gedanke galt ihr und einem baldigen Wiedersehen im Jenseits. Auch Sie haben ihm sehr gefehlt. Es hat ihn sehr gequält, dass er nie etwas mehr in Erfahrung bringen konnte, als ihre Mutter ihm in dem einen Brief geschrieben hat. Zu gern hätte er Sie kennen gelernt." "Er hatte doch Familie", werfe ich ein. "Er hat sich von seiner Frau sehr entfernt. Die Ehe war schon nicht mehr die beste, als Ihre Mutter in sein Leben trat. Das wurde danach nur noch schlimmer. Die meiste Zeit hat er auf seinem geliebten Landgut gelebt, seine Frau dagegen hat die Stadt nie verlassen. Seine Kinder haben sich nicht wirklich um ihn gekümmert. Einzig Marco, der ironischer Weise gar nicht sein leiblicher Sohn war, hat ihn ab und zu besucht." Ich höre ihm aufmerksam und mit wachsender Traurigkeit zu. Ein Mann, der praktisch alles hatte und doch hat ihm ein Leben lang das eine gefehlt, das sein Glück komplett gemacht hätte. "Haben Sie ein Foto von meinem Vater?" "Auf dem Landgut gibt es ...
     ein Portrait und sicher auch Fotos von ihm." "Ich möchte ihn einmal sehen. Wissen, was er für ein Mensch war." "Das kann ich gut verstehen." Ich bin traurig. Sein Tod trifft mich mehr, als ich gedacht hätte. Obwohl ich ihn nie getroffen habe. Doch allein das, was ich bisher von ihm und über ihn gehört und gelesen habe, hilft mir, ein Bild von ihm zu bekommen. Ich frage mich die ganze Zeit, was gewesen wäre, hätte sich meine Mutter anders entschieden. Wäre dann alles anders verlaufen? Besser? Ich habe keine Ahnung. Es ist müßig jetzt zu spekulieren, was geschehen wäre, wenn. Ich lasse die wunderbare Landschaft auf mich wirken. Das warme Licht, in das das Land getaucht ist, fasziniert mich und erhellt langsam auch meine Stimmung. Aus der grauen, tristen Stadt heraus in diese wunderbare Gegend eintauchen zu können, empfinde ich als Erlebnis. Ich bin eindeutig ein Kind der Stadt. Ich bin dort geboren, aufgewachsen und lebe seit jeher dort. Ich kenne kaum etwas anderes. Könnte ich von einem Tag auf den anderen hierherziehen? Die Fahrt über diese schier endlos weiten Felder und durch die Wälder ist ein ganz neues Erlebnis. Natürlich kenne ich solche Gegenden aus dem Fernsehen und war in den Naherholungsgebieten rund um Berlin. Die Landschaft der Toskana ist jedoch in Wirklichkeit viel, viel schöner. "Schön hier?", erkundigt sich der Notar. Er scheint meine Gedanken zu erraten. "Es ist ganz anderes, als die Stadt", antworte ich. Der Weg wird schmaler. Wir fahren zunächst über offenes ...
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