Der Olivenhain
Datum: 22.03.2019,
Kategorien:
Romantisch
Autor: Freudenspender
meinen wirklichen Vater kennenlernen. "Signorina Hertig! Willkommen in Italia", begrüßt mich der Notar. "Guten Tag, Herr Notar", grüße ich förmlich. Ich bin soeben am Bahnhof Siena angekommen. Ich musste nicht lange suchen und habe ihn bald entdeckt. Da Sonntag ist, sind nur wenige Leute unterwegs. Er hebt sich hier nicht so stark von den anderen ab, wie in Neukölln. Trotzdem ist er auch hier leicht auszumachen. "Haben Sie nur diesen kleinen Koffer?", erkundigt er sich. Er ist sichtlich erstaunt. "Ich werde nur ein paar Tage bleiben", erwidere ich. "Vorerst zumindest." "Wie sie meinen." Ein wissendes Lächeln umspielt seine Lippen. Er geht garantiert davon aus, dass ich am Ende doch hier bleibe. Ich weiß nicht, woher er diese Sicherheit nimmt. Ich habe alle meine Freunde in Berlin, mein ganzes Leben. Ich bin so gut wie nie aus der Stadt herausgekommen. Die Fahrt nach Italien kommt für mich einer Weltreise gleich. Er nimmt den Koffer und ich folge ihm zum Ausgang. Wir sprechen kein Wort während wir zum Parkplatz vor dem Bahnhof gehen. Er holt den Schlüssel aus der Hosentasche, öffnet den Wagen und hält mir galant die Beifahrertür auf. Erst als ich eingestiegen bin, verfrachtet er mein Gepäck in den Kofferraum und steigt selbst ein. "Hatten Sie eine angenehme Fahrt?", erkundigt er sich. "Ich musste früh aufstehen, um den Zug zu erwischen und ich hatte den Eindruck, wir müssten schon irgendwo in Afrika sein, so lange hat die Fahrt gedauert. Doch im Großen und Ganzen ist alles ...
gut gelaufen", antworte ich vergnügt. Er schmunzelt ein wenig in sich hinein und startet den Motor. Souverän fädelt er den BMW in den ruhigen Nachmittagsverkehr ein. Wir verlassen schon bald die Stadt, die Gegend wird ländlicher. Wir fahren durch die typische Hügellandschaft der Toskana. Ich bin nervlich angespannt. Schließlich habe ich keine Ahnung, was mich erwartet. Doch je länger die Fahrt dauert umso gelassener werde ich. Ich kuschle mich in die Polsterung und genieße die ruhige Fahrt. Die Landschaft ist einfach traumhaft. Nach etwa einer halben Stunde biegt der Notar von der Landstraße auf einen Feldweg ab. Er muss langsam fahren, denn der Weg ist nicht geteert. "Warum nehmen Sie das alles auf sich?", erkundige ich mich. "Was meinen Sie?" "Sie kommen eigens wegen mir nach Berlin, Sie haben mich, so nehme ich an, erst mit Hilfe eines Privatdetektivs gefunden und nun holen Sie mich vom Bahnhof ab und bringen mich zum Weingut. Das sind nicht die typischen Aufgaben eines Notars. In Berlin zumindest nicht", erläutere ich. "Giuseppe war nicht nur mein Weinlieferant, er war ein Freund. Sein Schicksal hat mich sehr berührt", erklärt er. "Wie meinen Sie das?", frage ich nun nach. "Er war ein Mann, der alles hatte, was sich die meisten Leute unter einem glücklichen Leben vorstellen. Er besaß Häuser in der Stadt und ein Landgut. Er hatte Geld und konnte in Wohlstand leben", meint er. "Aber?" "Er war unglücklich. Er hat sein Leben lang mit niemandem darüber geredet. Doch tief in ...