1. Mondscheinnacht


    Datum: 03.06.2018, Kategorien: Nicht festgelegt, Autor: byAldebaran66

    Warm war der erste Tag des Sommers. Kleine watteähnliche Wolken zogen träge am blauen Himmel entlang und verloren sich ohne Hast wieder am Horizont. Der Wind raschelte im hellgrünen, noch frischen Laub, welches sich wie Finger der Sonne entgegenstreckte. Gedämpftes Licht am Stamm der Bäume, leicht Grünliches unter den Ästen. Hier und da erwachte eine Grille und spielte ohne Ablass ihr monotones Lied. Ein frischer Duft zog um jeden Baum und versuchte den Moder des Winters zu vertreiben, was ihm noch nicht vollkommen gelang. Doch noch war die Schlacht nicht geschlagen und der Krieg noch nicht verloren. Ein einsamer Weg führte hindurch, schlängelte sich in sanften Windungen, wich jedem Hindernis aus und verlor doch nicht die Richtung. Neugierde überkam jeden zu wissen, was hinter der nächsten Biegung zum Vorscheinen kam, um dann festzustellen, dass eine Änderung nicht geplant war. Hoher Farn wuchs rechts und links, begrenzte den Pfad mit seinen ausladenden Wedeln und verdeckte alles, was es unter ihm zu sehen gegeben hätte. Hier und da spielten lebenslustige Eichhörnchen in den Wipfeln und sprangen mit gewagten Sätzen von einem Ast zum anderen, jagten hintereinander her und maßen sich im sportlichen Wettkampf. Weit weg, nicht zu orten, schlug ein Specht seine neue Wohnung geschickt ins Holz. Wie weit oder nah er auch war, eine Schätzung wäre unmöglich gewesen. In dieser Ruhe trug die Luft jeden noch so leichten Laut über weite Strecken. Und so kam es das ein anderes Geräusch ...
     langsam aber vernehmlich die Stille durchbrach. Erst leise, eher wispernd, dann langsam an Kraft gewinnend. Hohe und tiefe Töne in harmonischer Folge vereinten sich in einem Lied von großer Lieblichkeit. Die Natur schien den Atem anzuhalten, um zu lauschen, und erwartete den Urheber des Gesangs. Mit einem Mal bog um die nächste Biegung ein junges Mädchen, schwer zu schätzen im Alter, doch gerade erst voll erblüht. Mit zierlichen, aber doch sicheren Schritten verfolgte sie ihren Weg und liebliche Töne verließen dabei ihre vollen Lippen. Dunkle, halblange Haare von großem Glanz wehten ihr im leichten Wind hinterher und wurden von rechts nach links geworfen. Ein leichtes Sommerkleid unbestimmter Farbe bedeckte ihren grazilen Körper, der sich bei jedem Schritt leicht in den Hüften bewegte. Die schlanken Füße steckten nicht in Schuhen noch Strümpfen, sondern berührten den warmen Boden nur mit den nackten Sohlen. Einer Elfe gleich schien sie über den Pfad zu schweben und verzückte dabei die Umgebung mit ihrem wundervollen Gesang. Doch plötzlich verstummte sie von einem Mal zum anderen. Sie war um eine Ecke gebogen und vor ihr lag auf dem Rücken ein Mann auf dem Weg, alle viere von sich gestreckt als sei er in Ohnmacht gefallen oder gestürzt. Langsam näherte sie sich ihm, von Verletzungen jeglicher Art war auf diese Entfernung nichts zu sehen und auch beim Näherkommen zeigte sich keine Veränderung. Vorsichtig ging sie auf ihn zu, betrachtete ihn mit ihren großen rehbraunen Augen, mit ...
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