1. Eine heiße Sommerwoche


    Datum: 16.05.2018, Kategorien: Reif Autor: Achterlaub

    Brücken gebaut. So war es sogleich zwischen uns. Die Dame erzählte, dass sie schon seit Jahren geschieden sei. Ihre Kinder seien schon erwachsen und wohnten zum Teil im Ausland. Richtigen Kontakt gebe es immer seltener, seitdem auch sie in die Ferne habe ziehen müssen. Ich horchte auf, als sie von der in einigen Jahren bevorstehenden Rentenzeit zu sprechen begann, und fragte mehr Bestätigung erheischend nach: "Ach, Sie wollen in Altersteilzeit gehen?". "Nein.", lachte sie, "In vier Jahren ist spätestens und endgültig Schluss." Da verstand ich, dass sie noch gut fünf Jahre älter war, als ich gedacht hatte. Uns trennten also fünfzehn Lebensjahre. Und wir begannen unsere Erlebnisse der Kindheit auszutauschen. Karin, so stellte sie sich mir im Laufe des Nachmittags vor, hatte noch die Bombardierung unserer Heimatstadt erlebt. Ich hatte diese Erfahrung als Nachgeborener natürlich nicht gemacht. Aber beide hatten wir intensive Erinnerungen an die zerstörte Stadt, die ihr neues Gesicht erst weit nach Kriegsende gefunden hatte. Bis dahin konnte man allenthalben Trümmergrundstücke, aufrecht allein stehende Giebelwände und viele leere Plätze sehen, die den Blick in die Ferne eröffneten. Heute sind diese Baulücken geschlossen. Es gibt keine Fernsicht mehr auf Nebenstraßen. So manche andere Erinnerung an ferne vergangene Zeiten tauschten wir aus. Wie wurde damals noch die Milch frisch am Tresen des Milchgeschäfts ausgeschenkt. Lastwagen durften mit zwei Anhängern fahren und hatten oft ...
     Schwierigkeit, um die Ecken zu kommen. Und aus der Zeit unserer Großeltern war zuweilen ein Kolonialwarenladen überkommen. Als wir dann für eine Erfrischung zur Bude liefen, wurde mir bewusst, dass Karin gut einen Kopf kleiner war als ich. Aber sie hatte einen kräftigen Schritt, und ich konnte kaum fassen, dass sie die sechzig schon überschritten hatte. Schon bald bildeten wir eine Nachmittagsgemeinschaft, gingen noch einige Male ins Wasser und quatschten die übrige Zeit über Gott und die Welt. So gegen fünf verließ Karin dann das Bad. Wir verabredeten uns sogleich auf den nächsten Tag am selben Ort. Der folgende Tag begann so heiß wie der letzte geendet hatte. Ich hatte verschlafen. Es war schon gegen Mittag, als ich mein Fahrrad vor dem Bad abstellte. Am Eingang war ein Gedränge, das Schlimmstes vermuten ließ. In der Tat war an diesem Sonntag alles überfüllt. Handtuch lag an Handtuch, Decke an Decke, Stuhl neben Liege. Es war schwer einen Weg durch die ausgebreiteten Sitzunterlagen zu finden. Als ich in Richtung des verabredeten Liegeplatzes schaute, winkte mir schon Karin zu. Sie wedelte so heftig mit den Armen, dass ihr Busen hin und her schaukelte. Sie hatte es tatsächlich verstanden, gegen alle Widerstände, mir einen passablen Sitzplatz nahe am Wasser frei zu halten. Ich begrüßte sie förmlich. Es schien mir nicht angebracht, sie zu umarmen, da ich sie schließlich erst seit gestern kannte. Wir setzten unsere Gespräche fort, gingen ins Wasser, schlummerten und dösten in der ...
«1234...9»