1. HomoLepus 06


    Datum: 30.11.2017, Kategorien: Romane und Kurzromane, Autor: byAldebaran66

    vorher, keine nachher ging die Klingel. Dann ließ ich sie noch ein paar Sekunden mit klopfendem Herzen warten und vermittelte damit die Botschaft, dass ich erst zur Klingel laufen musste. Es sollte zumindest so aussehen, als wenn ich nicht direkt darauf gewartet hatte. Erst dann drückte ich genüsslich auf den Knopf. Anna kam zwei Minuten später den Flur entlang und hatte einen Koffer dabei, den sie hinter sich herzog. Ein wirklich monströses Ding von einem Koffer, der meine gesamte Garderobe hätte aufnehmen können. Dabei fiel mir ein, dass ich gar nicht so viel hatte. Oder zumindest trug ich nichts mehr davon. Ich hatte meinen Kleiderschrank schon eine ganze Zeit nicht mehr aufgemacht. Wozu auch? Ich brauchte außer meinen Fellen nichts anderes mehr. Das hatte jetzt einen gewaltigen Vorteil. Ich konnte die Sachen für Anna aus dem Schrank räumen und sie hatte genug Platz für ihre Sachen. So geschah es dann auch. Während ich meine Klamotten in einen Karton packte, verstaute sie ihre Sache im Schrank. Zuerst hatte ich gedacht, dass der Platz nicht reichen würde. Doch der Inhalt ihres Koffers bestand nicht ausschließlich aus Bekleidung. Ein guter Teil davon war Büchern vorbehalten, die für das Studium unverzichtbar waren und ein paar Kuscheltiere, die sie vorsichtig und fast mit Liebe auf das Bett setzte. Zum Schluss zog sie dann das größte Stofftier aus dem Koffer und ich musste innerlich lachen. Es war ein rosa Hase mit langen Löffeln und einem verschmitzten Lächeln im Gesicht. ...
     Anna nahm diesen in ihre Hand, kam zu mir herüber und hielt ihn neben mich. Dann lachte sie einmal, nahm den Hasen wieder weg und legte ihn wieder in den Koffer. Dann machte diesen zu und verstaute ihn in meinem Abstellraum. Das gab mir jetzt zu denken auf. Hatte sie mir jetzt damit angedeutet, dass ich jetzt ein Teil ihrer Stofftiersammlung war oder warum hatte sie ausgerechnet den Hasen wieder verstaut. Doch ich konnte so lange darüber nachdenken, wie ich wollte. Ich kam zu keinem Ergebnis. Schon wenig später saßen wir wieder am Küchentisch und aßen einen Happen. Dabei kam es mir jetzt schon so vor, als wenn es ein Ritual war, welches wir schon seit langer Zeit ausübten. Überhaupt war die Anwesenheit von Anna so, als wenn sie immer schon da gewesen wäre. Sie fügte sich nahtlos in mein Leben ein, war einfach da. Eine wirklich seltsame Situation. Nach dem Essen lernten wir wieder zusammen und ich war verwundert, wie schnell ich wieder auf dem gleichen Stand war wie zuvor, als ich die Uni verlassen hatte. Nicht nur das. Ich lernte mehr und mehr, hatte meinen Wissensstand schon um einiges erweitert. Es fiel mir allerdings auch wesentlich einfacher als zuvor. Es war einfach eine andere Lernumgebung, wenn man nicht alleine war. Es sprang sozusagen der Lernvirus zu einem über. Bei Anna schien es ähnlich zu sein. Sie fragte mich nur selten etwas, war eher mit sich selber beschäftigt und bekam ihre kleine, süße Nase nicht mehr aus dem aufgeschlagenen Buch. Das war wörtlich zu nehmen ...
«12...678...24»