Vier Jahre Schweigen
Datum: 08.09.2018,
Kategorien:
Schwule
Autor: byRolf_Udo
sitzen. Ich sah wieder nach oben, er stapfte durch sein Zimmer, dann ging das Licht aus. Ich seufzte. Würde er sich schlafen legen und nicht zu mir kommen? Weitere zehn Minuten vergingen. Das Licht an seiner Hintertür wurde eingeschaltet. Das waren die längsten zehn Minuten meines Lebens, und mein Herz hüpfte kurz, als er aus der Tür kam und davor wie angewurzelt stand. Vielleicht würde er nicht näherkommen oder mir das Gartentörchen vor der Nase zuknallen. Ich wusste es wirklich nicht. Ich starrte auf die Schachtel vor mir. Es war viertel vor Zwölf, als ich endlich seine Füße vor der Decke sah. Würde er sich setzten, oder einfach ‚Gib auf' sagen? Würde er sich meine mageren Erklärungen nicht anhören wollen, meine schwache Entschuldigung für vier Jahre Herzschmerz und Verzweiflung, in die ich ihn gestürzt hatte? Nur mein Herzschlag war zu hören. Er setzte sich mir gegenüber auf die Decke. Er sagte nichts, wartete darauf, dass ich ein Gespräch beginnen würde. Aber es sollten keine Worte aus meinem Mund kommen, nicht für die nächsten fünfzehn Minuten. Ich nestelte an der roten Schleife auf der kleinen Schachtel, reichte sie ihm dann herüber. Widerstrebend nahm er sie von meiner Handfläche. Ich sah ihn an. Seine Augen waren fragend auf mich gerichtet, nicht auf das Geschenk. Ich machte ihm eine Geste, den Deckel aufzumachen, mir eine Chance zu geben. "Ich kann kaum glauben, dass du dich daran erinnert hast", sagte er so leise, dass ich ihn fast nicht verstand. Ich wollte ihn ...
anschreien, dass ich es nie vergessen hatte, dass ich ihm innerlich an jedem Geburtstag gratuliert hatte, an dem ich nicht bei ihm war, aber ich tat es nicht. Er war herausgekommen, hatte sich vor mich gesetzt und ein Geschenk angenommen. Ja, er hatte mit mir gesprochen, obwohl ich mich fragte, ob seine Worte an mich oder an ihn selbst gerichtet waren. Der Mond war aufgegangen und tauchte uns in silbriges Licht. Mühsam, als ob das Öffnen der Schachtel ihm Schmerzen bereitete, öffnete er den Deckel. Innen fand er ein Armband, es war Silber, es war graviert, schwarz eingeätzt nur ein Wort: Wahrheit. Er sah mich fragend an. Ich bot ihm die Wahrheit an, wenn er sie hören wollte. Ich würde sie ihm geben, wenn er zuhörte. In zwölf Minuten. Er nahm das Armband aus der Schachtel und betrachtete es aus der Nähe. Vorsichtig nahm ich es ihm aus der Hand, öffnete die Schließe, hielt es dann so, dass ihm klar wurde, ich bot mich an, es ihm anzulegen. Zögernd streckte er seinen Arm aus, und ich schloss es so um sein Handgelenk, dass das Wort für ihn lesbar war. Was bedeutet das, Wahrheit?" fragte er, nachdem er eine weitere Minute das Armband betrachtet hatte, irgendwie beeindruckt von der rätselhaften Bedeutungsschwere des Worts. Ich nahm den Picknickkorb aus der Deckung hinter dem Zaun. Neugierig sah er zu, wie ich den Kuchen auspackte. Er war einfach und klein, mit einer Schokoladenglasur auf der Oberseite. In der Mitte hatte der Konditor nach meiner Anweisung ‚Liebe' mit rotem Zuckerguss ...