1. Prag – die unerträgliche Ambivalenz


    Datum: 31.07.2019, Kategorien: Fetisch Autor: bykarlissimo

    1988 fuhren Sabrine und ich mit unserem historischen Simca 1000 mit Porsche Halbautomatik, den ich von einer italienisch stammenden Kommolitonin mit starken Rückenproblemen erworben hatte) in die Tschechoslowakei. Erste Anlaufstelle war Prag. Wir hatten von einem Bekannten, der einige Jahre zuvor aus der DDR überwechselte eine Hotelempfehlung und eine Verbindung samt Telefonnummer zu einem Prager Fotografen bekommen. Das empfohlene Hotel Paris war aber schon ausgebucht. So fragten wir unseren „V-Mann" (Milan Racek) per Telefon, ob er uns ein Hotel besorgen könne. In der Zwischenzeit gingen wir etwas Geld tauschen und tranken einen Kaffee. Nach kurzer Zeit konnte uns Milan ein Hotel nennen. Es war das 5 Sternehotel Alcron in einer Seitenstraße des Wenzelsplatzes. Wir zuckten ein wenig zusammen, erwiderten, ob unsere Studentenkasse dies bezahlen könne. Aber Milan winkte nur ab. Wir würden schon einen besonderen Studentenrabatt als seine Bekannte bekommen. (Auch im Sozialismus hieß es: "Nichts ist unmöglich -- Simca!!!) Wir verabredeten uns am Abend in der Vorhalle des Hotels, auch um einige Begehrlichkeiten aus dem Osten (das 135er Zeiss Jena-Objektiv, das sogenannte Olympia-Objektiv, da es 1936 zur Olympiade in Berlin mit aufsehenerregender 2,8er Lichtstärke erschien und einige Flaschen alten Cuba-Rum. Die Situation kam uns wie eine konspirative Aktion in einem Spionagefilm vor. Als wir ihn fragten, ob er auch, wie abgemacht unsere DM zu einem für beide Seiten günstigen ...
     Kurs mit ihm gegen die Landeswährung tauschen wolle, winkte er nur kurz ab, mit den Worten: "Hier nicht -- das machen wir später!" Darauf gingen wir in unsere Suite und machten uns ein wenig frisch. Unser verbeulter fast volljähriger Simca wurde vom Hotelpersonal in der engen Tiefgarage auf Stoßstange genau eingeparkt. Für den Abend verabredeten wir uns wieder in der Halle. Wir gingen eine Kleinigkeit in der Nähe vom Wenzelsplatz essen. Milan erzählte uns von seiner beruflichen Laufbahn, dem Studium an der Filmkunstschule, von aufsehenerregenden fotografischen Techniken, die sein Professor entdeckt hatte und er führte uns in der Nacht schließlich durch Prag. Milan kannte fast jeden Winkel und jeden Stein seiner Stadt, und wie wir später erfuhren von seinem ganzen Land. Er liebte Prag und seine Tschechoslowakei über alles. Das war auch der Grund warum er 1968 nach dem Prager Frühling geblieben ist. Überall in der Stadt gab es geschichtsträchtige Orte, bei denen sich die Jahrhunderte, die unerträglichen Qualen und Freuden, die Kultur und die Unkultur der dort gelebten Menschen miteinander mischten. Über ganz Prag lag eine kafkaeske Stimmung, in diesem Jahr -- 1988. Überall hörten Ohren mit. Die Häuser in den Seitenstraßen verfielen zusehends, davor sollten Gerüste die Passanten vor dem hinunterfallenden Putz schützen. In der Innenstadt waren die markantesten Gebäude, die der Administration für den Tourismus wichtig schienen jedoch geschmackvoll und fachmännisch renoviert. In ...
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