1. Xara, die Kriegerprinzessin


    Datum: 03.11.2017, Kategorien: Sci-Fi & Phantasie, Autor: bykeinAutor

    Xara stand auf der obersten Plattform des Turms und sah in Richtung des Sonnenuntergangs, der orangerote Flammen an den Horizont malte. Ihr Aussichtspunkt überragte auch die höchsten Bäume des sich in alle Richtungen erstreckenden Waldes, so dass Xara ungehinderte Sicht hatte. Im Westen reichte ihr Blick bis zu den Rauchfahnen der Städte am großen Fluss. Im Süden konnte sie die Lichtungen erkennen, in die sich die Dörfer schmiegten, die dem Turm am nächsten lagen -- immer noch fast einen ganzen Tagesmarsch entfernt. Im Osten dehnte sich die Waldgrenze bis zur weiten grasbewachsenen Steppe, die von Reiternomaden durchstreift wurde. Nur nach Norden wandte Xara ihren Blick nicht. Zu schmerzhaft war die Erinnerung an die dort ansteigenden Berge, in deren Ausläufern sie aufgewachsen war. Sie hatte ihr altes Leben, ihre Familie und ihren Namen dort zurückgelassen. Ekshahra Oliami quel' Ademm. Wie die jeder Prinzessin war es ihre Bestimmung gewesen, zu heiraten, sobald sie zur Frau erblüht war, um ein Bündnis zu besiegeln und Erben zu gebären. Aber sie war fortgerannt, ohne ihren Möchtegern-Ehemann je gesehen zu haben. Sie hatte sich damit entehrt. Und sie hatte ihren Vater entehrt, der sie einem mächtigen Vasallen versprochen hatte. Nun war sie nur noch Xara, die Kriegerin. Nie mehr würde sie in ihre Heimat zurückkehren können. Sie atmete mehrmals tief ein und aus, um sich zu beruhigen und die Schatten der Vergangenheit zu vertreiben. All das war vorbei und sollte vergessen werden. ...
     Sie wollte im Hier und Jetzt leben. Sie hatte eine Aufgabe und nur diese zählte. Nie mehr würde sie einer Pflicht ausweichen, nie mehr ihr Wort brechen. Ordnung und Disziplin waren die Grundfesten, auf denen ihr Leben als Kriegerin ruhte. Kriegerin, dachte sie, was für eine Kriegerin bin ich denn hier? Ich bewache einen Turm und seine einzige Bewohnerin, weitab jeder menschlichen Siedlung. Niemand bedrohte sie. Noch nicht einmal gefährliche wilde Tiere gab es in der Umgebung. Und selbst wenn es welche gäbe, wären die dicken, festungsgleichen Mauern und die stabile, eisenbeschlagene Pforte des Bauwerks unüberwindlich für sie. Und falls doch gegen jede Wahrscheinlichkeit etwas Bedrohliches in den Turm gelangte, wäre seine Besitzerin alleine mehr als in der Lage, diese Bedrohung abzuwenden. Xara verstand noch immer nicht, welchen Grund ihre Auftraggeberin hatte, eine Wächterin zu beschäftigen. Soweit sie es anhand der Geschichten, die sie gehört hatte, und ihrer eigenen Beobachtungen beurteilen konnte, war die Zauberin Serene die mächtigste Frau des Kontinents. Die Zauberin gebot über Kräfte, die Armeen zu Staub zerschmettern könnten. Und sie besaß Schätze, mit denen sie ein Königreich kaufen oder zumindest in einem Palast wohnen könnte, umsorgt von einer Heerschar an Dienern. Stattdessen zog sie es vor, abgeschieden von aller Welt in einem rustikalen Turm zu leben, mit nur einer Wächterin zur Gefährtin. Allerdings war Xara überhaupt nicht klar, was sie hier eigentlich bewachen ...
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