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Abschluss
Datum: 31.05.2019, Kategorien: Reif Autor: Achterlaub
Obwohl sie als Sekretärin in einem kleinen Betrieb für Schiffsausrüster nicht gerade viel verdiente, fehlte es uns an nichts. Sogar eine jährliche Urlaubsreise, meist nach Österreich in die Berge, gehörte zu unserer Lebensführung. Die Beschreibung meines damaligen Lebens mag nach kleinbürgerlich-langweiligem Mief klingen. Dem war nicht so. Die Tante hatte eine wundervolle künstlerische Ader. Wenn sie nur im Türrahmen auftauchte, schienen leise Töne durch den Raum zu schweben. Es breitete sich sogleich eine wunderbare Wiesenlandschaft vor mir aus. Das war kein Auftritt auf der Bühnenrampe, sondern mehr ein elfengleiches Einherschweben. Mich hat diese Wesensart von Anbeginn sehr gerührt. So kann es nicht Wunder nehmen, dass ich schon sehr bald mit dem Geigenspiel begann. Mit der Tante besuchte ich fortan regelmäßig Theater- und Konzertaufführungen. Das Deutsche Theater war mir ebenso vertraut wie die vielen kleinen Etablissements auf der Reeperbahn, in denen Kleinkunst, Kabarett und andere zauberhafte Dinge dargeboten wurden. Dienstag Meine Tante Mechthild war wunderbar. Vor allem wurde sie in der Öffentlichkeit stets von männlichen Blicken umschmeichelt. Ihr tat das ausnehmend gut. Ihr Antlitz strahlte. Man konnte sogleich die selbstbewusste Würde an ihren blitzenden Augen und dem unverkennbaren Ruck erkennen, der sich durch ihren schlanken Leib zog. Aber sie blieb wie immer distanziert. Hin und wieder ließ sie sich von Unbekannten in der Theaterpause zu einem Gläschen Sekt ...
einladen. Für mich gab es dann außer der Reihe eine Cola. Aus diesen flüchtigen Bekanntschaften wurde nie mehr. Ich kann mich kaum erinnern, dass dem ein weiteres Treffen gefolgt wäre. Vielleicht - so denke ich heute - hat sie es auch nur gut zu verbergen verstanden. Aber auch nach Minuten der Grübelei fällt mir keine Situation ein, die solche Treffen unbemerkt von mir hätten stattfinden lassen können. Vielleicht habe ich Mechthild deshalb so bewundert. Sie war immer für mich da und konnte ihre ganze Aufmerksamkeit und Liebe mir allein zuwenden. In meinen Gedanken wurde sie deshalb schon sehr bald so etwas wie meine Traumfrau. Von ihrer äußerlichen Erscheinung her musste ich mir nichts schön vorstellen. Sie war ganz Dame. Das Kleid war ihr bevorzugtes Kleidungsstück. Das Haus verließ sie mit ihren mittellangen, dauergewellten Haaren nur, wenn alles gerichtet war, und umhüllt von dem feinen Duft eines Armani-Parfüms. Ihr Haar saß vom Spray gefestigt. Das Kleid umgab faltenfrei den Leib. Wenn denn wirklich einmal, vornehmlich in der Winterszeit, sich kleine Fettpölsterchen festgesetzt hatten, sorgte ein Korselett für die Modellierung des Körpers. Selbst die Schuhe waren stets geputzt. Das kannte ich von zu Hause überhaupt nicht, habe es mir allerdings schon bald bei der Tante abgeschaut. Dass sie nur leicht geschminkt, mit sorgfältig gefeilten und gefärbten Finger- und Fußnägeln das Haus verließ, versteht sich von selbst. Diese Frau von damals Mitte dreißig wurde schon bald zu ...